Wirecard-Prozess: Aussage von Markus Braun beendet
Im Strafprozess gegen Ex-Wirecard-Chef Markus Braun ist die erste Etappe nun abgeschlossen.
Dass die Wirecard AG Bilanzen gefälscht und Anleger und Investoren betrogen hat, ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Die Blase zerplatzte jäh am 25. Juni 2020, als die Nachricht von den „verschwundenen“ 1,9 Milliarden Euro, die auf Treuhandkonten liegen sollten, publik wurde. Warum ist das so lange niemandem aufgefallen? Und vor allem – wie hat Wirecard das angestellt?
Wie hat das Betrugsmodell von Wirecard funktioniert, fragen sich nicht nur geschädigte Anleger. Dabei hat es sich um ein komplexes System gehandelt, das nach Vermutung einiger Experten nur zur Geldwäsche existiert hat. Bei der Auseinandersetzung mit dem Wirecard-Skandal muss man das System als Ganzes betrachten.
Als zwischengeschalteter Zahlungsdienstleister, im Fachjargon, „Acquirer“ genannt, leitet man Geld vom Käufer an einen Händler weiter. Der Acquirer erhält eine Forderung gegen die Kreditkartenfirma des Käufers und haftet im Fall des Zahlungsausfalls. Sollte also der Käufer oder seine Kreditkartenfirma nicht zahlen (können), muss ein Acquirer trotzdem den Händler bezahlen. Um das Risiko für sich zu minimieren, behält der Acquirer bei einem solchen Vorgang eine Sicherheit ein, die er dem Händler erst bei vollständiger Bezahlung auszahlt. Diese beträgt normalerweise nur einen geringen Teil des Kaufpreises. Kleines Beispiel: Bei einem Kauf i.H.v. 100€ erhält der Händler zunächst nur 95€ vom Acquirer, da 4€ als Sicherheit dienen und 1€ die Geschäftsgebühr beträgt. Sobald der Acquirer von der Kreditkartenfirma das Geld erhalten hat, zahlt er an den Händler die restlichen 4€ aus.
Da die Margen bei der Abwicklung solcher Geschäfte verhältnismäßig gering sind, braucht man als Zahlungsabwickler viele Transaktionen, um ein rentables Geschäftsmodell zu haben. Vermutlich aus diesem Grund hat Wirecard mittels Geschäftspartner die Abwicklungen in Nicht-EU-Ländern ausgeweitet. Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen ist davon auszugehen, dass es sich größtenteils um erfundene Geschäfte handelte. Wirecard hat den Geschäftspartnern die vermeintlichen Kunden und die Technik zur Zahlungsabwicklung zur Verfügung gestellt, um scheinbar die Gebühr der vermeintlichen Transaktionen zu erhalten. Diese (erfundene) Gebühr, haben die Drittpartner über Umwege auf die vermeintlichen Treuhandkonten überwiesen.
Die Idee der besagten Treuhandkonten wurde ab 2015 eingeführt, wohl weil sich zu dieser Zeit die kritischen Nachfragen hinsichtlich des Geschäftsmodells gehäuft haben. Zuvor hatte Wirecard die (angeblichen) Gebühren als Forderungen in den Bilanzen ausgewiesen.
Mittels der Erlöse der erfundenen Forderungen konnte Unternehmenskäufe getätigt werden. Auffällig dabei die erhöhten Preise. Dies mutmaßlich um Geld aus dem Unternehmen und wieder in den Konzern zu schleusen. Die Ermittlungen gehen daher davon aus, dass sich mit dieser Methode vermutlich auch das „Senior Management“ von Wirecard bereichert hat und die Bilanzen des Konzerns geschönt wurden.
Nachdem die Ernst & Young GmbH (EY) lange glaubte, sich aus dem Wirecard-Zusammenbruch heraushalten zu können, beginnt ihre Verteidigungsstrategie nun zu brechen. Unsere Prognose: Alles kann viel schneller ablaufen, als wir zu Anfang der Krise dachten.
Die Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit Sitz in Stuttgart und jährlichem Umsatz von 2 Mrd. Euro ist Teil des globalen EY-Netzwerkes mit 284.000 Mitarbeitern und einem Gesamtumsatz von 36 Mrd. USD/Jahr. Damit gehört EY zu den „Big Four“-Wirtschaftsprüfungsfirmen.
Sie bestätigte Wirecard die Existenz von Treuhandkonten – mit einem Gesamtbestand von ca. 2 Mrd. Euro –, die tatsächlich gar nicht existierten. Dabei verstieß EY gegen die einschlägigen Prüfstandards des Instituts der Wirtschaftsprüfer. Vor allem gegen die Regel, dass man bei (angeblichen) externen Bankbeständen Bankbestätigungen anfordern muss (IdW-Prüfstandard 302). Das ist hier nicht geschehen. Die Existenz der Konten wurde trotzdem testiert.
In der Vernehmung der führenden EY-Wirtschaftsprüfer machten die Abgeordneten des Untersuchungsausschusses klar, dass sie einstimmig der Ansicht sind, dass EY bei der Testierung der Jahresabschlüsse von Wirecard auf Vorlage von Saldenbestätigungen der kontoführenden Banken hätte bestehen müssen. Dieser Ansicht folgten nicht nur die Abschlussprüfer der Aufsichtsstelle (APAS) beim Bundeswirtschaftsministerium, sondern auch die Bundesregierung (in einer Anfrage eines Mitglieds des Untersuchungsausschusses) sowie das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW).
Am 19.03.2021 tauchten im Untersuchungsausschuss des Bundestages Dokumente auf, die nahelegen, dass EY selbst die Idee der Treuhandkonten entwickelte. Ziel dabei war, zu verdecken, dass die (angeblichen) Geschäfte von Wirecard mit sog. „third party acquiring“-Unternehmen nicht existierten. Da es sich dabei in großen Teilen um Luftbuchungen handelte, wurden die (angeblichen) Forderungen von Wirecard aus diesen Geschäften nie bezahlt. Man hätte also in der Bilanz Jahr für Jahr riesige Forderungen ausweisen müssen, die niemals bezahlt wurden. Irgendwann wären Fragen aufgekommen, wodurch man die Täuschung nicht endlos hätte weiterführen können. Die „Lösung“, die mit Hilfe von EY ausgeheckt wurde: Mit Hilfe der Treuhandkonten konnte der Eindruck erweckt werden, dass das Geld längst eingegangen war. Wenn sich diese Hinweise erhärten, handelt es sich um eine aktive Mittäterschaft der EY-Verantwortlichen bei den Betrügereien von Wirecard.
Dies suchte EY zu verdecken. Der letzte Vorsitzende des Aufsichtsrats der Wirecard AG (Herr Eichelmann) bezeugte im Ausschuss, dass Vertreter von EY im Juni 2020 im Beisein seiner Rechtsanwältin von der Wirecard AG forderte, man solle die noch laufende KPMG-Sonderuntersuchung sofort einstellen, andernfalls würde EY den Jahresabschluss 2019 nicht testieren.
Ein weiterer Vorwurf gegen EY besteht darin, dass eine anstößige Unternehmensübernahme in Indien nicht überprüft wurde, selbst als konkrete Hinweise eines internen Whistleblowers eingingen, wurde diesen nicht konsequent nachgegangen. Eine eigene forensische Untersuchung („Projekt Ring“) wurde grundlos und ohne Ergebnisse abgebrochen.
Aussagen im Untersuchungsausschuss legen den Verdacht nahe, dass EY kurz vor und nach Abbruch der forensischen Untersuchung zwei Zusatzaufträge im Volumen von jeweils 400.000 Euro von Wirecard erhalten hat. Wenn sich diese Vorwürfe erhärten, kann die Vermutung einer Bestechung schwer von der Hand gewiesen werden.
Für zentral halten wir die Aussage, die KPMG-Partner Alexander Geschonneck vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss gemacht hat:
„Es war bei Anwendung üblicher Wirtschaftsprüfer-Standards nicht vertretbar, die Existenz dieser Treuhandkonten zu testieren. … Wir haben mit Methoden gearbeitet, mit denen jeder Abschlussprüfer sonst auch arbeitet. Bei Anwendung dieser üblichen Methoden konnten keine ausreichenden Nachweise für die Treuhandkonten gefunden werden, die zuletzt mit 1,9 Milliarden Euro in der WIRECARD-Bilanz standen.“
Ähnlich dramatisch ist die Aussage von James Freis, letzter CEO bei Wirecard, im „Handelsblatt“ vom 22. Januar:
„Nach einer Stunde war mir klar, dass es Betrug war.“
Außerdem liegen uns eine Vielzahl von Aussagen und Hinweisen jahrelanger Wirtschaftsprüfer der „Big-Four“-Wirtschaftsprüfungsgesellschaften vor. Diese Mitarbeiter haben für uns das Verteidigungsvorbringen von EY beurteilt. Reaktion: Ungläubiges Kopfschütteln. Nach dem, was EY im Prozess vortragen lässt, hätten sie weder die einschlägigen IdW-Prüfstandards noch die Vorgaben aus dem eigenen „Audit Performance Handbook“ eingehalten, noch die übliche eigene Prüf-Software benutzt.
EY verweist auf (angeblich) entlastende Dokumente, die aber weder dem Gericht noch uns vorgelegt werden. Hiergegen beantragen wir selbstverständlich richterliche Vorlageweisung (§ 423 ZPO), wodurch sich eine Vorlagepflicht der Urkunden ergibt.
EY beruft sich darauf, nur eine „normale“ Jahresabschlussprüfung durchgeführt zu haben, nicht aber eine forensische Untersuchung, bei der man die Wirecard-Täuschungen hätte aufdecken können. Dabei werden auch bei der „normalen“ Jahresabschlussprüfung Methoden und Software-Instrumente eingesetzt, die die Täuschung hätten auffliegen lassen. Wir haben dazu eine Vielzahl von Einzelnachweisen für das Gericht bringen können.
EY beruft sich darauf, die Hinterzimmerdeals mit Jan Marsalek und anderen Beteiligten hätte man nicht aufdecken können. Da Wirecard diese Deals schon von Gesetzes wegen auflisten musste (§ 90 Abs. 3 Abgabenordnung), hätte EY jene Auflistung nach IdW-Prüfstandard 255 prüfen müssen.
EY beruft sich darauf, man hätte Wirecard vertrauen dürfen. Hierbei wird außen vor gelassen, dass jeder Prüfer dem zu prüfenden Unternehmen mit angemessener Vorsicht und Distanz begegnen muss („Professional Skepticism“). Die Aufforderung zu gesunder professioneller Vorsicht spielt auch im eigenen „Audit Performance Handbook“ von EY, das uns vorliegt, eine große Rolle. Bei Wirecard wurde diese professionelle Vorsicht nicht eingehalten.
EY beruft sich darauf, wesentliche Geschäftsvorfälle seien nicht in der WIRECARD AG abgewickelt worden, sondern in Tochtergesellschaften, unter anderem in Irland und Dubai. Deshalb habe EY diese Geschäftsvorfälle nicht prüfen können. Dabei müssen relevante Geschäftsvorfälle bei Tochtergesellschaften von Rechts wegen geprüft werden und wurden tatsächlich geprüft („Full Scope Reporting“).
Besonders fragwürdig präsentiert sich das Veteidigungsvorbringen EYs, dass es sich bei den Treuhandkonten von Wirecard um einen normalen und geschäftsüblichen Vorfall gehandelt habe. Diese Behauptung ist evident falsch: Kein Unternehmen der Welt lässt angeblich endgültig verdientes eigenes Geld in der Größenordnung von 2 Mrd. EURO unverzinst bei Dritten stehen. Auch behauptet EY selbst, in den Jahren 2015 – 2018 kumulierte Zahlungseingänge bei Wirecard in Höhe von EUR 203,3 Mio. gesehen zu haben. Wenn das wahr sein soll, hätte umso dringlicher geprüft werden müssen, worauf diese Zahlungseingänge beruhten, warum sie gerade in dieser Höhe anfielen und warum der angeblich 10 Mal so große weitere Betrag auf den Treuhandkonten nicht ausgezahlt wurde.
EY beruft sich weiter darauf, bei Wirecard habe ein funktionierendes sog. „Internes Kontrollsystem“ (IKS) bestanden, dem EY hätte vertrauen dürfen. Unsere Reaktion darauf: Dieses Verteidigungsvorbringen von EY entspricht nicht der Wahrheit. Tatsächlich bestand ein funktionierendes IKS bei Wirecard nicht, es kann von EY auch nicht detailliert geschildert werden. Der einschlägige IdW-Prüfstandard 340 wurde seitens EY nicht eingehalten, die hauseigene Prüfmatrix nicht genutzt. Die Verteidigungslinie von EY ist nicht haltbar.
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