WIRECARD: Prüfbericht von KPMG liegt vor – Investoren sind enttäuscht
Alle WIRECARD-Investoren haben mit Spannung auf den am 28. April 2020 erschienenen KPMG-Bericht zu WIRECARD gewartet… Wir wollten wissen, ob die Vorwürfe, u.a. aus unserem an WIRECARD gerichteten Expectation Letter (hier die englische Version) widerlegt werden. Der Bericht ist erschienen – wir sind enttäuscht. Schon bei erster Durchsicht des KPMG-Berichts sind folgende Punkte zu den in der Öffentlichkeit kritisierten Hauptthemen Drittpartner-Geschäft (1., gemeint war Al Alam in Dubai), Digital Lending/Merchant Cash Advance (2.), WIRECARD Singapur (3.) und der Kauf von Gesellschaften in Indien (4.), zu deren Prüfung KPMG beauftragt wurde, bemerkenswert.
Hier die von KPMG berichteten Ergebnisse zu den vier Hauptthemen:
1. Drittpartner-Geschäft, Al Alam, Dubai
- Unterlagen wurden von WIRECARD entweder überhaupt nicht, zu spät oder nur in der Form von Scans oder Kopien geliefert, deren Übereinstimmung mit dem Original nicht geprüft werden konnte. Zitat: „Insoweit war es KPMG nicht hinreichend möglich, die Existenz der Transaktionsvolumina im Untersuchungszeitraum 2016 bis 2018 forensisch nachzuvollziehen“.
- KPMG berichtet, es hätten relevante Informationen gefehlt, Verträge seien nicht unterschrieben gewesen, Kontoauszüge nicht bereitgestellt worden – und zu manchen Aspekten habe WIRECARD angeforderte Daten erst in der letzten Woche geliefert.
- KPMG berichtet: Erzielte Umsätze seien von WIRECARD nicht ausreichend belegt worden, angeforderte Vertragsunterlagen seien teilweise um Monate verzögert eingereicht worden, einige Drittpartner hätten überhaupt keine Daten bereitgestellt und die Zusammenarbeit verweigert. Die internen Kontrollen von WIRECARD seien mangelhaft.
- Ferner schreibt KPMG: Es gebe keine Protokolle von Meetings zur Abstimmung der Transaktionsvolumen mit dem Drittpartner. Bestimmte Kundenbeziehungen hat KPMG erst gar nicht verifizieren können.
- Aus diesen Gründen hat KPMG keine Aussage darüber treffen können, dass die Umsatzerlöse existieren und der Höhe nach korrekt sind. Auch die gegenteilige Aussage, dass die Umsatzerlöse nicht existent und in der Höhe nicht korrekt sind, war nicht möglich. Insoweit liegt ein „Untersuchungshemmnis“ vor, so KPMG.
2. Digital Lending/Merchant Cash Advance
Das in Investoren-Präsentationen (Q3/2019) von WIRECARD angegebene Merchant Cash Advance-Geschäftsvolumen (z.B. für Q1 2019: 400 Millionen Euro) sei kein aus den WIRECARD-Einzelgesellschaften ausgewiesener Aktivposten (insbesondere in Brasilien und in der Türkei), sondern es „spiegele eine strategische Richtungsweisung wider“. Die Vorfinanzierungen seien in den von den WIRECARD-Gesellschaften an die Händler-Kunden weitergeleiteten Zahlungen enthalten, nachdem die WIRECARD-Gesellschaft die Liquidität selbst von den jeweiligen Acquiring-Partnern erhalten hätten. Die Investoren können sich hierzu selbst Gedanken machen, welche Aussagekraft ein nicht abgrenzbarer Vorauszahlungsposten an die Händler-Kunden hat, da er in einem Geldtransitposten – neben normal fälligen Zahlungen – an diese enthalten sein soll und für den ja auch von WIRECARD Zinsen berechnet werden.
3. WIRECARD Singapur
- KPMG bezieht sich im Wesentlichen auf die „extended audit procedures durch EY“ für das Jahr 2018 und bestätigt, dass deren Ergebnisse nachvollzogen werden können.
- KPMG berichtet bei den von ihnen untersuchten Sachverhalten von einer Häufung von Software-Verträgen ohne wirtschaftliche Substanz, bestätigt, dass diese Erkenntnisse den bereits von EY und Rechtsanwaltskanzleien erlangten Kenntnissen entsprechen und verweist auf die diesbezüglichen Vorwürfe, die in Singapur noch Gegenstand einer behördlichen Untersuchung sind.
4. Kauf von Gesellschaften in Indien
- Bezüglich des Fonds, von dem WIRECARD die operativen Gesellschaften 2015 zu einem Kaufpreis von bis zu 340 Millionen Euro erworben hatte, schreibt KPMG, dass diese den wirtschaftlichen Berechtigten des Fonds auch durch Hintergrundrecherchen nicht ermitteln konnten. Daher konnte der Vorwurf, dass der Fonds ein Mittelsmann sei, nicht abschließend geklärt werden.
- Der Kaufpreis, den der Fonds selbst für die operativen Gesellschaften gezahlt habe (37 Millionen Euro) sei WIRECARD erst nach dem Signing-Datum bekannt geworden. Der Kaufpreis rechtfertige sich lt. WIRECARD wegen der großen strategischen Relevanz, in den indischen Markt einzutreten, sowie Unternehmenstransaktionen von Dritten; KPMG habe hierzu jeweils keine anderweitigen Anhaltspunkte erhalten.
- Die Verkäufe der vom Fonds erworbenen Gesellschaften, nunmehr WIRECARD-Gesellschaften, an Beteiligungsunternehmen des Fonds, konnte KPMG nachvollziehen, und zwar sowohl vertraglich als auch hinsichtlich der Abwicklung: Allerdings konnte KPMG die Kaufpreisfindung nicht nachvollziehen.
- KPMG kommt zu dem Schluss, dass sich nach den vorgelegten Unterlagen und den durchgeführten Unterersuchungshandlungen im Indiengeschäft keine Anhaltspunkte für „Roundtripping“ ergeben haben.
Unsere Schlüsse:
Daraus kann man schließen, dass es v.a. deswegen keine Erkenntnisse gab, die zu Änderungen der Jahresabschlüsse 2019, 2018, etc. führen und dass es keine Anhaltspunkte für Roundtripping gibt (auf weitere Roundtripping-Vorwürfe neben Indien wurde gar nicht eingegangen). Offenbar liegt für den Jahresabschluss 2019 noch kein Testat von EY vor: Daher wurde die Bilanzvorlage vorerst verschoben.
Ein wesentliches Thema wurde ausgespart: Wie erklären sich die Unterschiede beim Eigenkapital der lokalen Abschlüsse im Vergleich zu den in den Konzernabschluss einbezogenen Abschlüssen (nach Anpassungen für Reporting-Zwecke)?
Entsprechend negativ fielen die Presseberichte aus. So schrieb die Süddeutsche Zeitung aus München:
„Anstatt den Konzern vom Vorwurf der unsauberen Bilanzierung freizusprechen, löste der lange erwartete Abschlussbericht einer Untersuchung durch Wirtschaftsprüfer von KPMG vor allem neues Misstrauen aus.“
Die Anleger reagieren entsprechend und fliehen laut Handelsblatt aus der Aktie, die in der Spitze über 20 % nachgab.
Wir werden in den kommenden Tagen hier unsere umfangreiche Analyse des KPMG-Berichts veröffentlichen. Bis dahin stehen wir für Rückfragen gerne zur Verfügung. Bitte wenden Sie sich hierfür an Dr. Wolfgang Schirp.