Wirecard: Neue Beweise gegen Wirtschaftsprüfer EY
(02.07.2021)
Es gibt wichtige neue Beweismittel für unsere Klageverfahren gegen EY. Diese möchten wir Ihnen kurz vorstellen.
- Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses
Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss hat seinen Abschlussbericht veröffentlicht. Wir haben das 2.026 Seiten lange Dokument mithilfe von Experten ausgewertet.
Besonders bemerkenswert finden wir folgendes:
Ein großes Rätsel bei WIRECARD ist das „third party acquirer“-Geschäft, das Wirecard (angeblich) in verschiedenen Teilen der Welt betrieb. Zur Erklärung: Diese angeblichen „third party acquirer“ oder „TPA“ sollten eine Art Subunternehmer in Ländern sein, in denen Wirecard selbst die erforderlichen Lizenzen nicht besaß oder das Geschäft aus anderen Gründen nicht selbst machen wollte. Die „TPA“ sollten also – angeblich – die Endkunden für Rechnung von Wirecard bedienen. Aber: Wie Insolvenzverwalter Jaffé bestätigt, hat dieses Geschäft niemals existiert. Daher bauten sich in den Bilanzen von EY bis zum Jahre 2015 immer höhere (angebliche) Forderungen auf. Denn aus einem nicht existierenden Geschäft konnte man natürlich auch keine Erträge erzielen. Hieraus ergaben sich Schwierigkeiten in der Jahresabschlussprüfung, denn Forderungen, die über Jahre hinweg nicht beglichen werden, müssen irgendwann wertberichtigt werden. Die Lösung: Wie der Parlamentarische Untersuchungsausschuss ermittelt, soll EY selbst eine entscheidende Rolle dabei gespielt haben, diese Forderungen in Treuhandkonten umzudeklarieren. Was für ein dreister Zaubertrick: Auf diesem Weg konnte WIRECARD so tun, als sei das Geld aus den TPA-Geschäften bereits eingegangen und liege nun auf den Treuhandkonten! Wenn EY dabei mitgespielt hat, dann ist auch der Vorsatz beweisbar.
- Das „concurrence memorandum“ vom 3. März 2016
Bei diesem Dokument handelt es sich um ein geheimes Abstimmungsdokument zwischen dem Wirtschaftsprüfer und WIRECARD, das sich auf ebenjenes Drittpartner-Geschäft bezieht. In diesem Dokument listet EY eine Vielzahl von Annahmen über das „third party acquirer“-Geschäft auf und lässt sich diese von Wirecard bestätigen und gegenzeichnen. Das Dokument wurde von drei hochrangigen EY-Partnern, darunter der später zur Deutschen Bank gewechselte Andreas Loetscher, sowie den zwei führenden Wirecard-Mitarbeitern Burkhard Ley und Stephan von Erffa unterschrieben.
Das hier beschriebene Vorgehen ist ausgesprochen sonderbar. Normalerweise wäre es Sache von EY gewesen, sich die einschlägigen Verträge selbst anzuschauen und die Buchungen zu überprüfen, bis die Geschäfte nachvollzogen werden konnten. Das ist schließlich die Kernaufgabe eines Wirtschaftsprüfers. Keineswegs kann ein Bestätigungsschreiben des Kunden WIRECARD – der ja gerade geprüft werden soll – die eigene Prüfungsarbeit ersetzen. Das ist erst recht dann abwegig, wenn es um behauptete Treuhandguthaben von zuletzt fast 2 Mrd. EURO und das gesamte zugrundeliegende TPA-Geschäft geht.
- Der Wambach-Bericht für den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss
Der Wambach-Bericht ist ein von Wirtschaftsprüfer Martin Wambach erstatteter Sonderbericht im Auftrag des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Wambach ist geschäftsführender Partner bei Rödl & Partner und Vorstandsmitglied des Instituts der Wirtschaftsprüfer. Der Bericht befasst sich mit den Fehlleistungen von EY bei der Prüfung der Wirecard AG. Der Bericht ist sachlich im Ton, aber überaus klar und professionell in der Sache. Wir möchten an dieser Stelle ein Zitat wiedergeben:
„Eine kritische Grundhaltung fehlte, banalste Rechnungslegungs- sowie Qualitätsstandards wurden vernachlässigt und Warnsignale wurden geflissentlich übersehen.“
- Weitere eigene Prüfungen
Mehrere Wirtschaftsprüfer – darunter auch frühere Mitarbeiter von EY – durchleuchten für uns laufend die Verteidigungsschriftsätze von EY und weitere Dokumente. Wir vertiefen unsere Kenntnis des Sachverhaltes auf nahezu täglicher Basis. Erkenntnisse, die wir erlangen, fließen in unsere gerichtlichen Schriftsätze ein.
Was ist die übergeordnete Strategie von EY? Besteht ein „Fluchtplan“ aus Deutschland? Oder können Anleger gefahrlos ein Musterverfahren abwarten (Dauer > 10 Jahre)?
Wichtige und verlässliche Stimmen im Markt meinen, dass EY die Rechtsstruktur so umbaut, dass das Deutschland-Geschäft künftig in der übergeordneten EY-Einheit „EMEIA“ betrieben werden kann (das ist das Kürzel für „Europe Middle-East India Africa“). Dann wäre die derzeitige EY-Deutschland-Gesellschaft irgendwann verzichtbar, und man könnte sie liquidieren oder in die Insolvenz gehen lassen. Schadensersatzansprüche von Anlegern würden dann ins Leere laufen.
Es gibt einige Punkte, die dafür sprechen, dass es einen solchen „Fluchtplan“ bei EY gibt, zumindest als „Plan B“.
Wenn man EY auf diese Fragen anspricht, erhält man folgende Antwort „Derzeit haben wir keine Absicht, die Rechtsstruktur im Deutschland-Geschäft zu verändern“ (Berliner Zeitung vom 20. April 2021). Wir meinen, dass ein klares Dementi anders aussieht und wir davon ausgehen müssen, dass mindestens ein „Plan B“ in dieser Richtung besteht. Was folgt aus diesen Überlegungen für Ansprüche von Geschädigten? Soll man nun traurig den Kopf in den Sand stecken und die Rechtsverfolgung aufgeben? Unsere Antwort darauf: Ein ganz klares „Nein, wir greifen jetzt erst recht an!“. Wir sind davon überzeugt, dass man mit Schadensersatzklagen noch rechtzeitig kommen wird, wenn man jetzt loslegt.
Wir ziehen hieraus drei Schlussfolgerungen:
- Wir leiten selbst keine Musterverfahren (KapMuG) ein.
- Wir treten voll auf das Gaspedal und reichen laufend Klagen ein, so wie wir beauftragt werden.
- Wir appellieren an alle Anwaltskollegen, die bereits Musteranträge (KapMuG) gestellt haben, diese zurückzuziehen. Die Stärken des Musterverfahrens funktionieren hier, bei diesem Gegner, in dieser Fallkonstellation, nicht, sondern schaden den geschädigten Investoren.
Das LG München l hat im Mai 2021 in zwei Verfahren anderer Anwaltskanzleien die Eröffnung eines Musterverfahrens nach dem Kap-MuG für unzulässig erachtet. Hintergrund zu diesen Entscheidungen ist, dass das Gericht davon ausging, dass es sich bei dem Bestätigungsvermerk eines Jahresabschlusses nicht um eine Kapitalmarktinformation handele. Ohne dies näher juristisch zu kommentieren, fühlen wir uns jedenfalls in unserer Linie bestätigt, den direkten Klageweg zu suchen.