Wirecard: Landgericht München leitet Musterverfahren ein
Der Beschluss des Landgerichts München I wurde am 16.03.2022 im Bundesanzeiger veröffentlicht.
Nachdem die Staatsanwaltschaft München I Anklage gegen den ehemaligen Wirecard-CEO Markus Braun sowie zwei weitere ehemalige Manager erhoben hat, hat das Landgericht München nun ein KapMuG-Verfahren (Kapitalanleger-Musterverfahren) eingeleitet. Bei dieser Art von Verfahren sollen alle Klagen gegen EY auf Schadensersatz im Zusammenhang mit der Wirecard-Insolvenz gebündelt werden. Zuständig ist das Bayerische Oberste Landesgericht. Dieses soll nunmehr prüfen, ob EY bei der Prüfung der Bilanzen von Wirecard Pflichtverletzungen begangen hat, die Ansprüche von Anleger und institutionellen Investoren auf Schadenersatz begründen können.
Der Vorlagebeschluss, der das Musterverfahren einleitet, richtet sich nicht nur auf Feststellungsziele gegenüber EY sondern auch gegen die Wirecard AG und deren Verantwortliche, u.a. auch gegenüber Markus Braun. Konkret wird der Wirecard AG ein Verstoß gegen die Publizitätspflichten vorgeworfen, bei denen sich EY der Beihilfe schuldig gemacht haben soll. Über folgende Sachverhalte soll das Musterverfahren entscheiden:
- Unrichtigkeit der Geschäftsberichte der Wirecard AG
- Der Wirecard AG war spätestens 2015 bewusst, dass die Treuhandkonten nicht die veröffentlichten Bankguthaben aufwiesen
- Markus Braun hat als Vorstandsmitglied die Vermögensverhältnisse der Gesellschaft unrichtig wiedergegeben oder verschleiert
- Durch die Veröffentlichung falscher Geschäftsberichte haben sowohl die Wirecard AG als auch Markus Braun sittenwidrig gehandelt
- Schadensersatzpflicht von EY, insb. Klärung des Vorsatzes im Hinblick auf die Beihilfe zum Verstoß gegen die Publizitätspflichten der Wirecard AG
- Der Kursdifferenzschaden ist ohne konkreten Kausalitätsnachweis ersatzfähig
Die Frage, ob EY einen eigenen Pflichtverstoß aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung begangen hat, ist leider nicht Gegenstand des Musterverfahrens und unseres Erachtens auch nicht KapMuG-fähig.
Was passiert bei einem KapMuG-Verfahren?
Die Einleitung eines KapMuG-Verfahrens hat zur Folge, dass alle derzeit gegen EY und Markus Braun laufenden Klagen zunächst wohl ausgesetzt werden. Nachdem das Gericht die o.g. zentralen Fragen, die alle Anleger gleichermaßen betreffen (wie z.B. die Frage, ob EY billigend falsche Bilanzen in Kauf genommen hat), geklärt hat, erfolgt ein Musterentscheid. Die zunächst ausgesetzten Klagen werden dann wieder fortgeführt. Die Feststellungen aus dem Musterentscheid sind zwar verbindlich, für eine Verurteilung von EY würden diese jedoch noch nicht reichen. Würde das Gericht z.B. feststellen, dass EY seine Sorgfaltspflichten verletzt hat, dann müsste in den Einzelprozessen noch zu weiteren Anspruchsvoraussetzungen wie z.B. der Nachweis der Schadenshöhe anhand der Kaufbelege entschieden werden. Da sich das Musterverfahren leider nicht mit der rechtlichen Frage der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung befasst, befürchten wir, dass das Musterverfahren für die Kläger wegen der zeitlichen Dauer und weil im Musterverfahren nicht alle relevanten Fragen abschließend festgestellt werden können, eher Nach- und keine Vorteile bringen wird. Doch haben die Münchner Richter auf ein solches gedrängt um aus Sicht des Gerichtes eine organisatorische Entlastung herbeizuführen.
Selber eine Klage zu erheben ist auch trotz des Musterverfahren für jeden Geschädigten notwendig, da das Gericht explizit nicht prüft, ob ein Anleger einen Anspruch hat, sondern wie dargestellt, lediglich bestimmte allgemeine Aspekte, die jedes Verfahren betreffen, prüft und feststellt. Alle die ohne eigene Klageerhebung die Ansprüche zum Musterverfahren anmelden, können so den Lauf der Verjährung hemmen. Doch die Erhebung einer individuellen Klage ist dennoch nach Abschluss des Musterverfahrens erforderlich. Wer jedoch erst nach Abschluss des Musterverfahrens Klage erhebt verliert wertvolle Zeit.
Wir sehen das Musterverfahren in diesem Fall nach wie vor kritisch. Zunächst ist die sehr lange Dauer solcher Verfahren hervorzuheben. Das jüngste Beispiel ist ein Musterverfahren in Bezug auf die Deutsche Telekom AG, das erst nach knapp 20 Jahren durch einen Vergleich beendet werden konnte. Würde das EY-Verfahren genauso lang dauern, befürchten wir, dass EY seine Geschäftstätigkeit und Vermögenswerte systematisch verlagert, so dass zum Schluss nur noch ein substanzloser Haftungskörper verbleibt. Ansprüche der Anleger könnten dann nicht mehr bedient werden. Darauf haben wir auch die Münchner Gerichte mehrmals ausdrücklich hingewiesen.
Was sollten Anleger jetzt tun?
Sofern noch nicht geschehen, sollten Anleger weiterhin erwägen Klage auf Schadensersatz gegen EY einzulegen, egal ob auf eigene Kosten oder gedeckt mit einer Rechtschutzversicherung. Soweit noch nicht geschehen: Schließen auch Sie sich der Klägergemeinschaft an, weitere Informationen dazu hier.
Jeder Anleger der derzeit von der Klageerhebung absieht und damit bis nach Abschluss des Musterverfahrens warten möchte, sollte zumindest seine Ansprüche verjährungshemmend im Musterverfahren anmelden. Die Kosten dazu betragen von Gesetzes wegen eine sogenannte 0,8 Anwaltsgebühr und eine 0,5 Gerichtsgebühr. HIER finden Sie eine beispielhafte Berechnung und welche Unterlagen wir dazu von Ihnen benötigen.
Zudem: Wir sind in aussichtsreichen Gesprächen mit einem angel-sächsischen, renommierten Prozessfinanzierer und hoffen, in den kommenden Wochen all jenen Anlegern, die die erforderlichen Kosten nicht selbst tragen können, ein Finanzierungsangebot machen zu können. Registrieren Sie sich dazu in jeden Fall schon jetzt kostenfrei bei uns HIER.