SCHIRP & Partner Rechtsanwälte mbB – DE - Kontakt
SCHIRP & Partner Rechtsanwälte mbB – DE - Kontaktieren Sie uns

Ihr Kontakt zu uns

Wir sind je­der­zeit für Sie da und freuen uns über Ihre Nach­richt. So kön­nen Sie uns erreichen:

Te­le­fon: +49 (0)30 – 327 617 0

E-​Mail: mail@​schirp.​com

Alle Kon­takt­da­ten

Update im Fall Wirecard / Ernst&Young; Einladung für follow-up-Webinare am 08. und 20. Juli

(08.07.2021)

In die­sem Ar­ti­kel be­rich­ten wir über den ak­tu­el­len Sach­stand im Fall Wire­card / Ernst&Young.

Das Wich­tigste vorab:

  • Neue Be­weis­mit­tel hel­fen uns
  • Be­richt des Par­la­men­ta­ri­schen Untersuchungsausschusses
  • „Con­cur­rence Memorandum“
  • Wambach-​Bericht
  • In­terne Un­ter­la­gen von WIRE­CARD und EY
  • wei­tere ei­gene Untersuchungen
  • Neue Ein­schät­zun­gen zum „Mas­ter­plan“ bei EY: Es wäre ein Feh­ler, auf Mus­ter­ver­fah­ren zu war­ten. Die De­vise lau­tet „An­griff jetzt“!
  • Bis­lang ha­ben wir Kla­gen für 1.160 Klä­ger ein­ge­reicht. Erste Ver­hand­lungs­ter­mine bei Ge­richt ste­hen an.
  • Be­su­chen Sie un­sere Web­i­nare am 08. Juli (Deutsch) oder 20. Juli (Eng­lisch), je­weils um 18 Uhr deut­scher Zeit.

1. Wichtige neue Beweismittel

Es gibt wich­tige neue Be­weis­mit­tel für un­sere Kla­ge­ver­fah­ren ge­gen EY. Diese stel­len wir Ih­nen kurz vor.

1.1 Be­richt des Par­la­men­ta­ri­schen Untersuchungsausschusses

Der Par­la­men­ta­ri­sche Un­ter­su­chungs­aus­schuss hat eine Vor­ab­fas­sung sei­nes Be­rich­tes vor­ge­legt. Das Do­ku­ment ist 2.026 Sei­ten lang. Wir wer­ten den Be­richt der­zeit un­ter Ein­be­zie­hung von Ex­per­ten aus.

Be­son­ders be­mer­kens­wert fin­den wir folgendes:

Ein gro­ßes Rät­sel bei WIRE­CARD ist das „third party acquirer“-Geschäft, das Wire­card (an­geb­lich) in ver­schie­de­nen Tei­len der Welt be­trieb. Zur Er­klä­rung: Diese an­geb­li­chen „third party ac­qui­rer“ oder „TPA“ soll­ten eine Art Sub­un­ter­neh­mer in Län­dern sein, in de­nen Wire­card selbst die er­for­der­li­chen Li­zen­zen nicht be­saß oder das Ge­schäft aus an­de­ren Grün­den nicht selbst be­trei­ben wollte. Die „TPA“ soll­ten also – an­geb­lich – die End­kun­den für Rech­nung von Wire­card be­die­nen. Aber: Wie In­sol­venz­ver­wal­ter Jaffé be­stä­tigt, hat die­ses Ge­schäft nie­mals exis­tiert. Da­her bau­ten sich in den Bi­lan­zen von EY bis zum Jahre 2015 im­mer hö­here (an­geb­li­che) For­de­run­gen auf. Denn aus ei­nem nicht exis­tie­ren­den Ge­schäft konnte man na­tür­lich auch keine Er­träge er­zie­len. Hier­aus er­ga­ben sich Schwie­rig­kei­ten in der Jah­res­ab­schluss­prü­fung, denn For­de­run­gen, die über Jahre hin­weg nicht be­gli­chen wer­den, müs­sen ir­gend­wann wert­be­rich­tigt wer­den. Die Lö­sung: Wie der Par­la­men­ta­ri­sche Un­ter­su­chungs­aus­schuss er­mit­telt, soll EY selbst eine ent­schei­dende Rolle da­bei ge­spielt ha­ben, diese For­de­run­gen in Treu­hand­kon­ten um­zu­de­kla­rie­ren. Was für ein dreis­ter Zau­ber­trick: Auf die­sem Weg konnte WIRE­CARD so tun, als sei das Geld aus den TPA-​Geschäften be­reits ein­ge­gan­gen und liege nun auf den Treu­hand­kon­ten! Wenn EY da­bei mit­ge­spielt hat, dann ist auch der Vor­satz beweisbar.

1.2 Das „con­cur­rence me­mo­ran­dum“ vom 3. März 2016

Uns ist es ge­lun­gen, ein ge­hei­mes Ab­stim­mungs­do­ku­ment zwi­schen EY und Wire­card si­cher­zu­stel­len, das sich ge­nau auf die­ses „third party acquirer“-Geschäft be­zieht. Die­ses Ab­stim­mungs­do­ku­ment dazu ha­ben EY und Wire­card in eng­li­scher Spra­che ab­ge­fasst und als „con­cur­rence me­mo­ran­dum“ be­zeich­net. Mit dem eng­li­schen Wort „con­cur­rence“ ist nicht „Kon­kur­renz“ im deut­schen Sinne ge­meint, das Wort ist viel­mehr mit „Über­ein­stim­mung“ zu über­set­zen – es han­delt sich also um eine schrift­li­che Ein­ver­neh­mens­er­klä­rung zwi­schen EY und Wire­card über die Exis­tenz be­stimm­ter Sach­ver­halte. In die­sem Do­ku­ment lis­tet EY eine Viel­zahl von An­nah­men über das „third party acquirer“-Geschäft auf und lässt sich diese von Wire­card be­stä­ti­gen und ge­gen­zeich­nen. Das Do­ku­ment wurde von drei hoch­ran­gi­gen EY-​Partnern, dar­un­ter der spä­ter zur Deut­schen Bank ge­wech­selte An­dreas Loet­scher, so­wie den zwei füh­ren­den Wirecard-​Mitarbeitern Burk­hard Ley und Ste­phan von Erffa unterschrieben.

Das hier be­schrie­bene Vor­ge­hen ist aus­ge­spro­chen son­der­bar. Nor­ma­ler­weise wäre es Sa­che von EY ge­we­sen, sich die ein­schlä­gi­gen Ver­träge selbst an­zu­schauen und die Bu­chun­gen zu über­prü­fen, bis die Ge­schäfte nach­voll­zo­gen wer­den konn­ten. Das ist schließ­lich die Kern­auf­gabe ei­nes Wirt­schafts­prü­fers. Kei­nes­wegs kann ein Be­stä­ti­gungs­schrei­ben des Kun­den WIRE­CARD – der ja ge­rade ge­prüft wer­den soll – die ei­gene Prü­fungs­ar­beit er­set­zen. Das ist erst recht dann ab­we­gig, wenn es um be­haup­tete Treu­hand­gut­ha­ben von zu­letzt fast 2 Mrd. EURO und das ge­samte zu­grun­de­lie­gende TPA-​Geschäft geht.

Be­trach­tet man die Aus­sa­gen und Be­stä­ti­gungs­bit­ten, die das „con­cur­rence me­mo­ran­dum“ ent­hält, so ent­steht der über­wäl­ti­gende Ein­druck, dass EY in die­sem Do­ku­ment gar nicht wirk­lich Ver­ständ­nis­fra­gen stellt. Viel­mehr scheint sich EY eine Rück­ver­si­che­rung auf­bauen zu wol­len, weil in Wahr­heit schlimme Fehl­ent­wick­lun­gen be­reits deut­lich er­kannt wor­den wa­ren. So lässt sich EY un­ter an­de­rem be­stä­ti­gen, dass:

  • Wire­card selbst – nicht hin­ge­gen die TPA-​Partner – der „key cont­act“ zu den End­kun­den sei und die Kom­mu­ni­ka­tion mit die­sen unterhalte,
  • Wire­card selbst die End­kun­den kenne („Wire­card knows these merchants“),
  • es sich öko­no­misch be­trach­tet um ei­ge­nes Ge­schäft von Wire­card han­dele („it is Wirecard´s busi­ness from an eco­no­mic point of view“),
  • Wire­card selbst über die An­nahme von End­kun­den ent­scheide und de­ren Ri­siko eva­lu­iere, au­ßer­dem auch End­kun­den mit schlech­tem Ri­si­ko­pro­fil ab­leh­nen könne,
  • Wire­card selbst den TPA-​Partner aus­wähle und die­sen auch je­der­zeit durch ei­nen an­de­ren TPA-​Partner er­set­zen oder das Ge­schäft mit den End­kun­den zu sich selbst her­an­zie­hen könne.

Wenn man die­ses Do­ku­ment liest, fragt man sich: Was hät­ten diese Be­stä­ti­gun­gen be­wir­ken sol­len? Wie passt die­ses ganze Vor­ge­hen über­haupt zu der Ver­ant­wor­tung ei­nes Jah­res­ab­schluss­prü­fers, der selbst und ei­gen­ver­ant­wort­lich zu prü­fen hat, da­mit sich alle an­de­ren Markt­teil­neh­mer so­dann auf das von ihm er­teilte Tes­tat ver­las­sen kön­nen? Warum hat sich EY nicht eine Liste der an­geb­li­chen End­kun­den vor­le­gen las­sen und diese zu­min­dest stich­pro­ben­haft über­prüft? Warum hat sich EY nicht die Kom­mu­ni­ka­tion mit aus­ge­wähl­ten End­kun­den vor­le­gen las­sen? Warum hat sich EY keine Ver­träge an­ge­se­hen, wie es Auf­gabe ei­nes Jah­res­ab­schluss­prü­fers wäre? Warum hat sich EY als ver­ant­wort­li­cher Jah­res­ab­schluss­prü­fer nicht die wirk­li­chen Zah­lungs­flüsse vor­le­gen las­sen? Warum hat man diese Zah­lungs­flüsse dann nicht – wie in der Wirt­schafts­prü­fung üb­lich – im Wege von „walk-​throughs“ in ei­ner aus­rei­chen­den Zahl von Fäl­len nach­ge­prüft? Warum sind die an­geb­li­chen Treu­hand­kon­ten, auf de­nen 10-​stellige Be­träge lie­gen soll­ten, nicht ord­nungs­ge­mäß mit­tels di­rekt ein­zu­ho­len­der Bank­be­stä­ti­gun­gen über­prüft wor­den? Warum ist nichts, buch­stäb­lich nichts, von al­le­dem ge­macht wor­den, was das ei­gene Prüf­hand­buch von EY für die Jah­res­ab­schluss­prü­fung vorschreibt?

Die Ant­wort liegt auf der Hand: Diese und noch viele wei­tere un­ter­las­sene stan­dard­mä­ßige Prüf­ver­fah­ren hät­ten die Wirecard-​Bilanzfälschungen und das Lü­gen­ge­flecht be­reits vor Jah­ren auf­flie­gen las­sen. Und das wollte man auf Sei­ten von Wire­card, aber of­fen­bar auch auf Sei­ten von EY, un­be­dingt ver­mei­den. Dies passt zu der Stel­lung­nahme von Wirecard-​Finanzchef Burk­hard Ley ge­gen­über dem Par­la­men­ta­ri­schen Un­ter­su­chungs­aus­schuss, wo­nach EY selbst es ge­we­sen sei, die das Sys­tem der Treu­hand­kon­ten vor­ge­schla­gen hät­ten. Auch dies würde ent­schei­dend für Vor­satz auf Sei­ten von EY sprechen.

1.3 Der Wambach-​Bericht für den Par­la­men­ta­ri­schen Untersuchungsausschuss

Der Wambach-​Bericht ist ein von Wirt­schafts­prü­fer Mar­tin Wam­bach er­stat­te­ter Son­der­be­richt im Auf­trag des Par­la­men­ta­ri­schen Un­ter­su­chungs­aus­schus­ses. Wam­bach ist ge­schäfts­füh­ren­der Part­ner bei Rödl & Part­ner und Vor­stands­mit­glied des In­sti­tuts der Wirt­schafts­prü­fer. Der Be­richt be­fasst sich mit den Fehl­leis­tun­gen von EY bei der Prü­fung der Wire­card AG. Der Be­richt ist sach­lich im Ton, aber über­aus klar und pro­fes­sio­nell in der Sa­che. Wir möch­ten an die­ser Stelle ein Zi­tat wiedergeben:

„Eine kri­ti­sche Grund­hal­tung fehlte, ba­nalste Rechnungslegungs- so­wie Qua­li­täts­stan­dards wur­den ver­nach­läs­sigt und Warn­si­gnale wur­den ge­flis­sent­lich übersehen.“

Can­sel Ki­zil­tepe (SPD-​Vertreterin im Par­la­men­ta­ri­schen Un­ter­su­chungs­aus­schuss) fasst den Be­richt mit den Wor­ten zu­sam­men: „Der Wambach-​Bericht ist ein ver­nich­ten­des Ur­teil für EY“.
Wir mei­nen, dass die recht­li­che Be­ur­tei­lungs­grund­lage in un­se­ren Scha­dens­er­satz­pro­zes­sen ge­gen EY sehr nütz­lich sein wird. Wir kön­nen uns kaum vor­stel­len, dass Rich­ter sich über die Ein­schät­zun­gen ei­nes Bran­chen­pro­fis wie Mar­tin Wam­bach hin­weg­set­zen. Wir be­an­tra­gen in un­se­ren ei­ge­nen Ver­fah­ren, ihn eben­falls als Gut­ach­ter an­zu­hö­ren. Er sollte un­sere Po­si­tion nach­hal­tig stärken.

1.4 In­terne Do­ku­mente von WIRE­CARD und EY

Zu­neh­mend si­ckern in­terne Do­ku­mente von WIRE­CARD und EY durch. Teil­weise hat der Par­la­men­ta­ri­sche Un­ter­su­chungs­aus­schuss diese Do­ku­mente be­reits aus­wer­ten kön­nen, teil­weise ma­chen wir das selbst. Ein Bei­spiel, hier zi­tiert nach dem Son­der­vo­tum der Op­po­si­ti­ons­frak­tio­nen zum Ab­schluss­be­richt des Par­la­men­ta­ri­schen Untersuchungsausschusses:

„Die in elek­tro­ni­schem PDF-​Format der Wire­card AG, aber auch den EY-​Abschlussprüfern vor­lie­gende, vor­geb­li­che Sal­den­be­stä­ti­gung der Ci­ta­delle vom 2. De­zem­ber 2016 lässt sich durch „Dop­pel­kli­cken“ auf die Ob­jekt­fel­der mit der Un­ter­schrift und dem Un­ter­neh­mens­stem­pel nä­her untersuchen.

Beide an­geb­lich von Herrn Shan­mu­ga­rat­nam Ra­ja­rat­nam ge­tä­tig­ten Un­ter­schrif­ten auf die­sen Be­stä­ti­gun­gen so­wie beide an­geb­lich zu Ci­ta­delle ge­hö­ri­gen Stem­pel­auf­dru­cke las­sen sich im PDF je­weils mit ei­nem „Dop­pel­klick“ an­wäh­len, was zur Folge hat, dass sich ein Ob­jekt­feld öff­net, wel­ches ein Da­tum so­wie den Na­men „Oli­ver“ ent­hält. Die ge­nann­ten Ele­mente „Un­ter­schrift“ und „Stem­pel“ wur­den also in das Do­ku­ment hineinkopiert.

Er­gän­zend tritt hinzu, dass der in den Ob­jekt­fel­dern hin­ter­legte Zeit­stem­pel ein Da­tum aus dem Jahre 2017 trägt und da­mit ei­nen sub­stan­zi­el­len Hin­weis auf eine Rück­da­tie­rung des elek­tro­ni­schen Do­ku­ments liefert.“

Auch diese Do­ku­mente er­här­ten un­se­ren Sach­vor­trag, wo­nach EY bei den Prü­fungs­hand­lun­gen und den be­an­stan­dungs­freien Testa­ten „ge­wis­sen­los“ und „nach­läs­sig“ im Sinne der ein­schlä­gi­gen BGH-​Rechtsprechung ge­han­delt hat. Das müsste also für den Vor­satz­nach­weis im Sinne der BGH-​Rechtsprechung ausreichen.

1.5 Wei­tere ei­gene Prüfungen

Meh­rere Wirt­schafts­prü­fer – dar­un­ter auch frü­here Mit­ar­bei­ter von EY – durch­leuch­ten für uns lau­fend die Ver­tei­di­gungs­schrift­sätze von EY und wei­tere Do­ku­mente. Wir ver­tie­fen un­sere Kennt­nis des Sach­ver­hal­tes auf na­hezu täg­li­cher Ba­sis. Zu­dem ver­fol­gen wir selbst­ver­ständ­lich wei­ter­hin die Ent­wick­lun­gen im Par­la­men­ta­ri­schen Un­ter­su­chungs­aus­schuss. Alle Er­kennt­nisse, die wir er­lan­gen, flie­ßen in un­sere ge­richt­li­chen Schrift­sätze ein.

2. Was ist die übergeordnete Strategie von EY? Besteht ein „Fluchtplan“ aus Deutschland? Oder können Anleger gefahrlos ein Musterverfahren abwarten (Dauer > 10 Jahre)?

Wich­tige und ver­läss­li­che Stim­men im Markt mei­nen, dass EY die Rechts­struk­tur so um­baut, dass das Deutschland-​Geschäft künf­tig in der über­ge­ord­ne­ten EY-​Einheit „EMEIA“ be­trie­ben wer­den kann (das ist das Kür­zel für „Eu­rope Middle-​East In­dia Af­rica“). Dann wäre die der­zei­tige EY-​Deutschland-​Gesellschaft ir­gend­wann ver­zicht­bar, und man könnte sie li­qui­die­ren oder in die In­sol­venz ge­hen las­sen. Scha­dens­er­satz­an­sprü­che von An­le­gern wür­den dann ins Leere laufen.

Es gibt ei­nige Punkte, die dar­auf hin­wei­sen, dass es ei­nen sol­chen „Flucht­plan“ bei EY gibt, zu­min­dest als „Plan B“:

  • Der erste Punkt, der da­für spricht, ist die Be­för­de­rung des lang­jäh­ri­gen Deutschland-​Chefs Hu­bert Barth auf ei­nen Pos­ten in der eu­ro­päi­schen EY-​Struktur. Er ist dort kein „Früh­stücks­di­rek­tor“, son­dern er hat kon­krete und wich­tige Auf­ga­ben. Wel­che Auf­ga­ben kön­nen dies sein, wenn er nicht die wich­tigs­ten deut­schen Kun­den in die neue Struk­tur „rü­ber­zie­hen“ soll?
  • Fer­ner spricht für un­sere An­nahme die ab­seh­bare Un­mög­lich­keit für EY Deutsch­land, Scha­dens­er­satz in Höhe von meh­re­ren Mil­li­ar­den EURO zu be­zah­len. Was liegt nä­her, als die recht­li­che Hülle der deut­schen Ge­sell­schaft lang­sam, aber si­cher zu leeren?
  • Man hört aus gut in­for­mier­ten Krei­sen, dass EY Deutsch­land kaum Rück­stel­lun­gen für Pro­zess­ri­si­ken bilde. An­hand der Ver­öf­fent­li­chun­gen im Bun­des­an­zei­ger konn­ten wir das zwar noch nicht ve­ri­fi­zie­ren. Denn das Ge­schäfts­jahr von EY Deutsch­land läuft vom 1. Juli je­des Jah­res bis zum 30. Juni des Fol­ge­jah­res, und der Ab­schluss für das Ge­schäfts­jahr vom 1. Juli 2019 bis zum 30. Juni 2020 ist noch nicht im Bun­des­an­zei­ger ver­öf­fent­licht wor­den. Wir ha­ben also noch keine of­fi­zi­el­len Da­ten für den Zeit­raum, in dem der Wirecard-​Skandal voll aus­ge­bro­chen ist. Aber Leute, die es wis­sen müs­sen, sa­gen, dass EY un­ver­än­dert eine „Voll­aus­schüt­tungs­ma­xime“ prak­ti­ziere, d.h. der ge­samte ver­füg­bare Er­trag wird von den Part­nern als Ge­winn ent­nom­men. Wenn das so ist, dann schafft EY also keine Vor­aus­set­zun­gen, um eine große Zahl von Klä­gern be­frie­di­gen zu können.
  • Last not least: Maß­geb­li­che EY-​Mitarbeiter ha­ben Er­fah­rung da­mit, sich vor der Ver­ant­wor­tung zu drü­cken, ei­nem Haf­tungs­fall aus­zu­wei­chen und das Ge­schäft an an­de­rer Stelle neu auf­zu­bauen bzw. fort­zu­füh­ren. Denn diese Mit­ar­bei­ter wa­ren frü­her für die große Wirt­schafts­prü­fungs­ge­sell­schaft Ar­thur An­der­sen tä­tig, vor­mals eine der „Big Five“-Firmen. Ar­thur An­der­sen ging zu­sam­men mit dem ENRON-​Konzern zu­grunde. Jah­re­lang hatte Ar­thur An­der­sen die ENRON-​Bilanzen be­an­stan­dungs­frei tes­tiert und mas­sive Falsch­bi­lan­zie­run­gen über­se­hen. Als EN­RON in­sol­vent wurde, sah sich Ar­thur An­der­sen gro­ßen Haf­tungs­an­sprü­chen aus­ge­setzt, die Ar­thur An­der­sen mit in den Ab­grund ris­sen – aus den „Big Five“ wur­den die „Big Four“. Große Teile der Ar­thur Andersen-​Mannschaft für den deutsch­spra­chi­gen Raum (Deutschland-​Österreich-​Schweiz) gin­gen da­mals ge­mein­sam zu EY. Ob diese Leute ver­su­chen wer­den, er­neut das Fir­men­dach zu wech­seln und ihr Ge­schäft mit­zu­neh­men? Es liegt zu­min­dest nahe.

Wenn man EY auf diese Fra­gen an­spricht, er­hält man fol­gende Ant­wort „Der­zeit ha­ben wir keine Ab­sicht, die Rechts­struk­tur im Deutschland-​Geschäft zu ver­än­dern“ (Ber­li­ner Zei­tung vom 20. April 2021). Wir mei­nen, dass ein kla­res De­menti an­ders aus­sieht und wir da­von aus­ge­hen müs­sen, dass min­des­tens ein „Plan B“ in die­ser Rich­tung be­steht. Wir glau­ben zwar nicht, dass eine Ver­la­ge­rung des Deutschland-​Geschäfts durch EY in­ner­halb der nächs­ten fünf Jahre durch­ge­führt wer­den kann. Denn Prüf­man­date von DAX-​Konzernen und an­dere wich­tige Auf­träge müss­ten in der EMEIA-​Struktur neu be­grün­det wer­den. Das geht nicht „von jetzt auf gleich“. Zum Bei­spiel müs­sen Prüf­man­date bei bör­sen­no­tier­ten Un­ter­neh­men durch Haupt­ver­samm­lungs­be­schlüsse neu ver­ge­ben wer­den. Das braucht seine Zeit. Wir mei­nen aber, dass die Über­lei­tung vie­ler Kun­den in eine neue recht­li­che Struk­tur grund­sätz­lich mach­bar ist. Ent­schei­dend ist, ob die Kun­den von EY eine sol­che Flucht aus der Ver­ant­wor­tung mit­ma­chen wür­den – und das scheint bei vie­len Kun­den so zu sein. Man hört je­den­falls häu­fi­ger den Satz: „Nie­mand hat ein In­ter­esse daran, dass aus den „Big Four“ die „Big Th­ree“ werden“.

Was folgt aus die­sen Über­le­gun­gen für An­sprü­che von Ge­schä­dig­ten? Soll man nun trau­rig den Kopf in den Sand ste­cken und die Rechts­ver­fol­gung auf­ge­ben? Un­sere Ant­wort dar­auf: Ein ganz kla­res „Nein, wir grei­fen jetzt erst recht an!“. Wir sind da­von über­zeugt, dass man mit Scha­dens­er­satz­kla­gen noch recht­zei­tig kom­men wird, wenn man jetzt los­legt. Voll­streck­bare Ur­teile las­sen sich in ei­nem Jahr, ma­xi­mal in zwei Jah­ren er­wir­ken. Das ist recht­zei­tig, um EY noch zur Zah­lung zu zwin­gen. War­tet man hin­ge­gen den Aus­gang ei­nes Kapitalanleger-​Musterverfahrens ab, so wird dies zu spät sein. Sol­che Mus­ter­ver­fah­ren kön­nen von EY pro­blem­los über Jahre ge­zo­gen wer­den. Un­sere Kanz­lei hat große Er­fah­rung mit sol­chen Mus­ter­fest­stel­lungs­ver­fah­ren, von den ers­ten zehn KapMuG-​Verfahren in Deutsch­land ha­ben wir sie­ben selbst ge­führt, und wir ha­ben auch den ers­ten po­si­ti­ven Fest­stel­lungs­be­schluss vor dem Bun­des­ge­richts­hof zu­guns­ten ei­nes Mus­ter­klä­gers er­wirkt (zum LBB-​Immobilienfonds 13). Wir ste­hen die­ser Ver­fah­rens­form also kei­nes­falls ab­leh­nend ge­gen­über und ha­ben noch in jüngs­ter Ver­gan­gen­heit ei­nen po­si­ti­ven KapMuG-​Beschluss in ei­nem gro­ßen Schiffs­fonds er­wirkt (beim OLG Ham­burg zum HCI Ship­ping Sel­ect XXV; das Ver­fah­ren liegt aber noch beim BGH). Bei al­len Vor­zü­gen des KapMuG-​Verfahrens ist aber wich­tig zu wis­sen, dass sol­che Ver­fah­ren häu­fig zehn bis 15 Jahre dau­ern. Und selbst dann lie­gen im bes­ten Fall ge­richt­li­che Fest­stel­lun­gen vor, aber noch keine voll­streck­ba­ren Zah­lungs­ur­teile. Hinzu kommt, dass aus un­se­rer Sicht er­heb­li­che Un­si­cher­hei­ten be­stehen, ob ein Mus­ter­ver­fah­ren über­haupt zu­läs­sig ist. Selbst wenn ein­zelne Fra­gen zu­ge­las­sen wer­den soll­ten, so wird eine um­fas­sende Ent­schei­dung über alle Rechts­fra­gen nicht zu er­war­ten sein. Sie wer­den dann noch ein­mal – selbst un­ter den güns­tigs­ten Um­stän­den – in vie­len Jah­ren eine Klage ein­rei­chen müs­sen. Un­ser Fa­zit ist da­her: Wer auf ein Mus­ter­ver­fah­ren war­tet, wird am Ende leer aus­ge­hen. Das ist keine Schwarz­ma­le­rei, son­dern ein aus jah­re­lan­ger Er­fah­rung si­cher ab­zu­lei­ten­der Befund.

Wir zie­hen hier­aus drei Schlussfolgerungen:

1. Wir lei­ten selbst keine Mus­ter­ver­fah­ren (KapMuG) ein.

2. Wir tre­ten voll auf das Gas­pe­dal und rei­chen lau­fend Kla­gen ein, so wie wir be­auf­tragt werden.

3. Wir ge­hen da­von aus, dass die ent­schei­den­den Fra­gen oh­ne­hin nicht in ei­nem KapMuG-​Verfahren ent­schie­den wer­den. Die lau­fen­den Ver­fah­ren wer­den nach un­se­rer Ein­schät­zung nicht aus­ge­setzt wer­den, da un­sere Ver­fah­ren vor­aus­sicht­lich nicht von den ein­ge­reich­ten Mus­ter­ver­fah­ren ab­hän­gen werden.

Noch ein Hin­weis zu ak­tu­el­len Ge­richts­ent­schei­dun­gen: Das LG Mün­chen l hat im Mai 2021 in zwei Ver­fah­ren an­de­rer An­walts­kanz­leien die Er­öff­nung ei­nes Mus­ter­ver­fah­rens nach dem KapMuG für un­zu­läs­sig er­ach­tet. Hin­ter­grund zu die­sen Ent­schei­dun­gen ist, dass das Ge­richt da­von aus­ging, dass es sich bei dem Be­stä­ti­gungs­ver­merk ei­nes Jah­res­ab­schlus­ses nicht um eine Ka­pi­tal­markt­in­for­ma­tion han­dele. Ohne dies nä­her ju­ris­tisch zu kom­men­tie­ren, füh­len wir uns je­den­falls in un­se­rer Li­nie be­stä­tigt, den di­rek­ten Kla­ge­weg zu suchen.

3. Zuständigkeits-​Pingpong zwischen Stuttgart und München

Die Land­ge­richte Mün­chen und Stutt­gart strei­ten um die Zu­stän­dig­keit für die Scha­den­er­satz­kla­gen ge­gen EY. Wie in Deutsch­land nicht an­ders zu er­war­ten, han­delt es sich um ei­nen „ne­ga­ti­ven Zu­stän­dig­keits­kon­flikt“, das heißt: Beide Ge­richte wol­len mög­lichst nicht zu­stän­dig sein. Das LG Stutt­gart hat an die 140 im Zu­sam­men­hang mit dem Skan­dal ste­hende Kla­gen ge­gen den Wirt­schafts­prü­fer EY an das LG Mün­chen I ver­wie­sen. Dort sind da­mit ak­tu­ell etwa 400 Wirecard-​Zivilklagen an­hän­gig. Doch wol­len die Münch­ner die­sen Berg an Kla­gen nicht al­lein be­wäl­ti­gen. Aus die­sem Grund hat das LG Mün­chen I in 21 Fäl­len „Ge­richts­stand­be­stim­mungs­an­träge“ beim OLG Stutt­gart ge­stellt. Sollte das OLG zu Guns­ten Mün­chens ent­schei­den, wer­den die dort be­tei­lig­ten Kam­mern vor­aus­sicht­lich bei wei­te­ren Fäl­len die Über­nahme ver­wei­gern. Am OLG werde je­der Fall ge­son­dert ge­prüft, er­klärte eine Spre­che­rin in Stutt­gart. „Die Ent­schei­dung ist nur für das je­wei­lige Ver­fah­ren bin­dend.“ Mög­li­cher­weise wird am Ende der BGH ent­schei­den müs­sen, wel­ches der Ge­richte ab­schlie­ßend zu­stän­dig ist.

Wir rei­chen un­sere Kla­gen un­ver­än­dert in Stutt­gart ein, weil wir dies auf Grund­lage der ZPO für rich­tig hal­ten. Der­zeit ha­ben wir etwa 205 Kla­gen für ca. 1.160 Klä­ger ein­ge­reicht. (Die Zah­len dif­fe­rie­ren, weil es sich bei den Kla­gen teil­weise um Sam­mel­kla­gen han­delt, an de­nen eine ganze Reihe von Klä­gern be­tei­ligt ist). An dem Zu­stän­dig­keits­ge­r­an­gel zwi­schen Stutt­gart und Mün­chen be­tei­li­gen wir uns so we­nig wie mög­lich, son­dern han­deln schlicht und ein­fach auf Ba­sis des­sen, was wir selbst als ju­ris­tisch zu­tref­fend ana­ly­siert ha­ben. Sollte der BGH die Ver­fah­ren am Ende nach Mün­chen ver­wei­sen, dann geht da­von die Welt auch nicht un­ter, dann wer­den wir mit un­se­ren Klä­gern halt „um­zie­hen“. Wir kon­zen­trie­ren uns auf die in­halt­li­chen Fra­gen und auf die Be­weis­füh­rung zu­guns­ten un­se­rer Man­dan­ten. Und auf die­sem Ge­biet kom­men wir gut voran und hal­ten Sie gerne wei­ter informiert.

Das Land­ge­richt Mün­chen hat in sechs Ver­fah­ren ei­ner an­de­ren An­walts­kanz­lei klag­ab­wei­sende Ur­teile er­las­sen. Diese Ur­teile lie­gen uns vor und sind aus un­se­rer Sicht nicht über­zu­be­wer­ten, da of­fen­sicht­lich we­sent­li­cher Sach­ver­halt nicht vor­ge­tra­gen wor­den ist. Es han­delt sich um sehr früh ein­ge­reichte Kla­gen. Diese Ur­teile – die im Üb­ri­gen auch nicht rechts­kräf­tig sind – dürf­ten da­her kei­nen Ein­fluss auf un­sere ei­ge­nen Ver­fah­ren haben.

4. Einladung zu den nächsten Webinaren

Wir la­den Sie herz­lich zu un­se­ren nächs­ten Web­i­na­ren ein:

Am 08. Juli 2021 um 18 Uhr deut­scher Zeit. Die­ses Web­i­nar wird in deut­scher Spra­che abgehalten.

Am 20. Juli 2021 um 18 Uhr Cen­tral Eu­ro­pean Time (CET). Die­ses Web­i­nar wird in eng­li­scher Spra­che abgehalten.

Spre­chen werden:

  • Prof. Dr. Kai-​Oliver Kn­ops, Uni­ver­si­tät Hamburg
  • Rechts­an­walt Dr. Marc Lieb­scher, LL.M.
  • Rechts­an­wäl­tin Dr. Su­sanne Schmidt-​Morsbach und Rechts­an­walt Dr. Wolf­gang Schirp aus der Kanz­lei Schirp & Part­ner Rechts­an­wälte mbB

Mit freund­li­chen Grü­ßen im Na­men un­se­res ge­sam­ten WIRECARD-Teams –

Ihr Dr. Wolf­gang Schirp

Co­py­right © Schirp & Part­ner Rechts­an­wälte | Im­pres­sum | Da­ten­schutz­er­klä­rung

Zum Seitenanfang