Staatshaftungsklagen im Falle Wirecard – Klagen gegen BaFin / DPR

Grund­sätz­lich kommt, ne­ben der Klage ge­gen die Wirt­schafts­prü­fe­rin Ernst & Young (EY), auch eine sol­che ge­gen die Bun­des­an­stalt für Fi­nanz­dienst­leis­tungs­auf­sicht (BaFin) und/​oder die Deut­sche Prüf­stelle für Rech­nungs­le­gung (DPR) in Be­tracht. Wir – das heißt Dr. Marc Lieb­scher (Dr. Späth & Part­ner Rechts­an­wälte) und Dr. Wolf­gang Schirp (Schirp & Part­ner Rechts­an­wälte) – wur­den be­reits von vie­len Wirecard-​Investoren mit der Ein­rei­chung von Sam­mel­kla­gen we­gen Staats­haf­tung ge­gen die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land be­auf­tragt und er­hal­ten fort­lau­fend wei­tere An­fra­gen. Da es sich aber um den recht­lich un­si­che­re­ren Weg han­delt, als die Kla­gen di­rekt ge­gen EY ein­zu­rei­chen, er­klä­ren wir Ih­nen hier die recht­li­che Grund­lage und wann eine Scha­dens­er­satz­klage sinn­voll ist.

Rechtliche Grundlage

Ein An­spruch auf Scha­dens­er­satz im Falle ei­ner Amts­pflichtsver­let­zung fin­det sich in § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG. Ge­mäß § 839 Abs. 1 S. 1 BGB hat ein Be­am­ter, der vor­sätz­lich oder fahr­läs­sig eine ge­gen­über ei­nem Drit­ten be­stehende Amts­pflicht ver­letzt, dem Drit­ten den dar­aus ent­ste­hen­den Scha­den zu er­set­zen. Nach Art. 34 S. 1 GG wird die Haf­tung auf den Staat oder die Kör­per­schaft, in de­ren Dienst die Amts­per­son steht, über­ge­lei­tet. In Be­zug auf die BaFin ist die Dritt­be­zo­gen­heit der Amts­pflich­ten je­doch we­gen § 4 Abs. 4 Fin­DAG strit­tig (Nä­he­res).

Eine Al­ter­na­tive bie­tet der An­spruch des so­ge­nann­ten Amts­miss­brau­ches, der gem. § 826 BGB eben­falls zu ei­ner Amts­haf­tung füh­ren kann und durch § 839 BGB auch für fahr­läs­sig be­gan­gene Amts­miss­bräu­che gilt. Eine Haf­tung setzt vor­aus, dass die ori­gi­nä­ren Auf­sichts­pflich­ten ge­gen­über den Ak­tio­nä­ren der Wire­card AG durch die BaFin/​DPR ver­letzt und da­durch in die recht­li­chen Be­lange der Ak­tio­näre ein­ge­grif­fen wurde, die nach der Na­tur des Amts­ge­schäfts durch die­ses be­rührt werden.

Die Sachlage und unsere Bewertung

Grund für die Klage ist das Ver­sa­gen der deut­schen Auf­sichts­be­hör­den im Fall der Wire­card AG. Wie DGAP be­rich­tet kommt ein von Prof. Dr. Mo­ritz Ren­ner (Uni­ver­si­tät Mann­heim) vor­ge­stell­tes Gut­ach­ten zu dem Er­geb­nis, dass In­ves­to­ren der Wire­card AG gute Aus­sich­ten ha­ben, Scha­dens­er­satz­an­sprü­che ge­gen die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land gel­tend zu ma­chen. Mit der Aus­ge­stal­tung des Bi­lanz­kon­troll­sys­tems durch die BaFin und DPR hat die Bun­des­re­pu­blik ge­gen ihre Pflicht ver­sto­ßen, die eu­ro­päi­sche Trans­pa­renz­richt­li­nie ent­spre­chend de­ren Vor­ga­ben in Art. 24 umzusetzen.

Dr. Wolf­gang Schirp meint daher:

Die Richt­li­nie for­dert in Art. 24, dass in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ein funk­tio­nie­ren­des Bi­lanz­kon­troll­sys­tem eta­bliert sein muss. Die­ses Er­for­der­nis der Richt­li­nie folgt aus dem In­di­vi­du­al­schutz­ge­dan­ken: Die Richt­li­nie be­zweckt näm­lich den Schutz der An­le­ger. Mit der dys­funk­tio­na­len Um­set­zung der Richt­li­nie hat die Bun­des­re­pu­blik ge­gen ihre Pflich­ten ver­sto­ßen. Dies be­stä­tigt auch das Renner-​Gutachten. Dann muss die BRD die Wirecard-​Investoren aber ent­schä­di­gen: Denn hät­ten DPR/​BaFin die fal­schen Bi­lan­zen der Wire­card AG rich­tig prü­fen kön­nen, hät­ten sie er­ken­nen kön­nen, dass diese falsch sind und hät­ten Auf­sichts­maß­nah­men ein­ge­lei­tet. Die Nicht­um­set­zung der Er­for­der­nisse der Trans­pa­renz­richt­li­nie ist also kau­sal für den Scha­den der Wirecard-​Investoren. Da­für ist als Kau­sa­li­täts­nach­weis nach stän­di­ger Recht­spre­chung des Eu­ro­päi­schen Ge­richts­ho­fes der Rück­griff auf die all­ge­meine Le­bens­er­fah­rung aus­rei­chend. Die­ser, im Renner-​Gutachten her­vor­ge­ho­bene, eu­ro­pa­recht­li­che An­satz der Staats­haf­tung ver­ein­facht Kla­gen von In­ves­to­ren enorm.

Auch die ESMA (Eu­ro­päi­sche Wert­pa­pier­auf­sichts­be­hörde: Eu­ro­pean Se­cu­ri­ties and Mar­kets Aut­ho­rity) iden­ti­fi­zierte viel­fach Feh­ler der DPR und BaFin in ih­rem Peer Re­view Be­richt. Ins­be­son­dere kon­sta­tierte sie er­heb­li­che Män­gel bei der Wirk­sam­keit des Auf­sichts­sys­tems in der Finanzberichterstattung.

Un­sere Be­wer­tung: Der Man­gel­be­richt der ESMA stützt un­ser Vor­ha­ben. Sie stellte fest, dass hin­sicht­lich der je­wei­li­gen Rolle von BaFin und DPR bei Hin­wei­sen auf Be­trug in der Rech­nungs­le­gung, diese nicht auf­ein­an­der ab­ge­stimmt sind. Zu­sätz­lich kam es zu Fäl­len man­geln­der Ko­or­di­nie­rung und In­ef­fi­zi­enz beim In­for­ma­ti­ons­aus­tausch zwi­schen den zu­stän­di­gen Teams der BaFin. Die ESMA legte dar, dass die BaFin nicht in der Lage war, die Prü­fun­gen der DPR be­züg­lich Wire­card gründ­lich zu be­wer­ten – was eine Ent­schei­dung, ob sie die Be­wer­tun­gen über­neh­men sollte, verunmöglichte.

In­zwi­schen und im An­schluss an den Bi­lanz­skan­dal bei Wire­card kün­digte das Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­rium selbst sei­nen Ver­trag mit der DPR. Nach­dem sich be­reits 2016 erste Be­trugs­hin­weise er­ga­ben, agierte die „Bi­lanz­po­li­zei“ hin­sicht­lich der Prü­fung der Wirecard-​Bücher viel zu lang­sam. Zu­sätz­lich be­rich­te­ten Me­dien im Fe­bruar über den Rück­tritt des ehe­ma­li­gen DPR-​Chefs Ed­gar Ernst. Die­ser hatte ne­ben sei­ner zehn­jäh­ri­gen Prä­si­dent­schaft drei wei­tere Tä­tig­kei­ten inne: Auf­sichts­rats­man­date bei den Groß­kon­zer­nen Me­tro, Tui und Vo­n­o­via. Im Un­ter­su­chungs­aus­schuss des Bun­des­ta­ges zum Fall Wire­card Mitte Fe­bruar konnte er nicht nach­voll­zieh­bar dar­stel­len, wie es zur In­ne­ha­bung der Man­date kam (zu wei­te­ren Un­ge­reimt­hei­ten).

Für wen käme eine Schadensersatzklage gegen BaFin oder DPR in Frage?

Eine Klage ge­gen BaFin/​DPR emp­fiehlt sich ins­be­son­dere für die­je­ni­gen Ge­schä­dig­ten, wel­che aus wirt­schaft­li­chen oder per­sön­li­chen Grün­den nicht ge­gen EY vor­ge­hen möch­ten. Zum Bei­spiel, weil die Rechts­schutz­ver­si­che­rung den Ein­tritt bei Ka­pi­tal­an­la­gen aus­schließt, zu­gleich aber eine Staats­haf­tung um­fasst oder weil der Ge­schä­digte selbst Mit­ar­bei­ter von EY ist.

Zu be­ach­ten ist, dass es sich in je­dem Fall um die Ein­rei­chung zweier se­pa­ra­ter Kla­gen han­delt, da sie auf un­ter­schied­li­chen An­spruchs­grund­la­gen ba­sie­ren und der je­wei­lige Ge­richts­stand nicht iden­tisch ist.

Soll­ten Sie sich nun also zu ei­ner Klage ent­schei­den oder Fra­gen zum Thema ha­ben, nut­zen Sie un­ser Kon­takt­for­mu­lar oder schi­cken Sie uns eine E-​Mail an wirecard@​schirp.​com.

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